Einführung

Hat die bestehende Demokratie sich bewährt?

Die Demokratie muss mit allen Mitteln gegen ihre autokratisch gesinnten Verächter verteidigt werden. Das ist ein Selbstverständlichkeit. Aber was, wenn auch das System Demokratie hinter den Anforderungen seiner Zeit immer mehr zurückbleibt? Wenn seine Überlegenheit nur mehr auf der noch geringeren Problemlösungsfähigkeit der autokratischen Systemkonkurrenz beruht?
Genau diese kritische Wahrnehmung der Demokratie breitet sich in diesem Jahrhundert in der westlichen Welt immer mehr aus. Man steht für die Demokratie ein, aber fast nirgendwo mehr mit idealistischem Elan.
Dies ist aber keineswegs als Krisensymptom oder gar als Unglück zu werten, sondern darin zeigt sich nur ein erwartbarer historischer Wandel. Auch die Demokratie, wie wir sie kennen, konnte nicht für die Ewigkeit gemacht sein. Auch diese, die moderne westliche Demokratie muss letztlich als ein historisches Übergangsphänomen verstanden werden. Die Zeit wird über sie hinweggehen, wie sie in früheren Jahrhunderten u.a. über Absolutismus, aufgeklärte Monarchie, Kommunismus und sonstige vordemokratische Staatsformen hinweggegangen ist.
Die Beiträge im reformforum-neopolis wollen zeigen, welche Wege eine solche über die bestehende Demokratie hinausgehende Entwicklung nehmen kann. Es sind die Wege zu den vielen möglichen Staatsformen der Neokratie.

Dabei ist aber dieser Hinweis wichtig: Es kann und muss hier nicht alles auf Anhieb verstanden werden. Zunächst einmal kommt es darauf an, die Politik in der bestehenden Demokratie zunehmend distanzierter in den Blick zu nehmen. Mit wachsendem Befremden über diese Politik wird sich die Neugier auf neokratisches Denken dann von selbst weiter entwickeln.

Staatsformen können – wie alle von Menschen gemachten Organisationsformen – veralten, und dieser Alterungsprozess schreitet bei der Demokratie zunehmend rascher voran.

Dass dies so ist, dass also die bestehende Demokratie mittlerweile fundamental reformbedürftig ist, davon will das Reformforum nicht erst überzeugen. Es wendet sich vielmehr an jene wachsende Minderheit, die ein tiefgreifendes Unbehagen an der herkömmlichen Demokratie bereits teilt.

Demokratiebürger machen immer wieder die Erfahrung, dass eine neu gewählte politische Führung gewisse Dinge besser macht, sich aber in anderen Dingen umso unfähiger erweist; dass z.B. eine neue politische Führung einige aktuelle Problem besser löst als zuvor, dabei aber langfristige politische Herausforderungen umso sträflicher vernachlässigt. Solche Erfahrungen lassen letztlich nur einen Schluss zu: Die gewählten Entscheidungsträger in der Demokratie sind systematisch überfordert. Sie tragen Verantwortung für die Politik als ganze, aber hinreichend kompetent sind sie allenfalls in einem kleinen Teilbereich.

Dieses Grundübel der Demokratie wird in neokratischen Staatsformen überwunden. In einem neokratischen Staatswesen wäre bestmöglich dafür gesorgt, dass an politischen Entscheidungen nur noch Menschen beteiligt sind, die viel von der jeweiligen Sache verstehen – statt, wie in herkömmlichen Systemen, politischer Generalisten, die von allem etwas verstehen, aber von nichts wirklich genug.
Neokratische Staatsordnungen würden so für einen Quantensprung in der Qualität politischer Entscheidungen sorgen.

Die Textbeiträge des Reformforums bauen auf einigen elementaren demokratiekritischen Feststellungen auf. Dies beginnt mit der Feststellung, dass der demokratische Staat in seiner herkömmlichen Form hoffnungslos überfordert und daher inkompetent ist. Dies gilt auch und besonderen für langfristige Herausforderungen. Beispiele hierfür sind Klimapolitik, Pandemievorsorge, globale Friedenssicherung, Bildungspolitik und Probleme der sozialen Gerechtigkeit.

Eine weitere Feststellung ist, dass im herkömmlichen demokratischen Verfahren mit einem einzigen Wahlakt über die Politik als ganze abgestimmt wird. Auch eine noch so knappe Mehrheit bestimmt damit in einem einzigen Akt die Politik über das gesamte politische Aufgabenspektrum hinweg.
In diesem Verfahren sind auch Wähler hoffnungslos überfordert. Je komplexer das politische Aufgabenspektrum, desto stärker wird daher die Versuchung, sich in trügerisch vereinfachende populistische Ideologien zu flüchten.

Die Anfälligkeit für solche Ideologien ist auch Ausdruck eines politischen Sinndefizits. Demokratische Staaten scheitern großenteils daran, den Bürgern sinnstiftende Identifikationserlebnisse zu verschaffen. Eine Hilfskonstruktion, die dieses Sinndefizit mancherorts noch einzuhegen vermag, ist die repräsentative Monarchie. Je größer aber, je anonymer und je heterogener ein demokratischer Staat, desto schwerer fällt es ihm, politischen Sinndefiziten vorzubeugen und damit gesellschaftliche Kohärenz zu wahren.
Auch zur Vermeidung und Behebung solcher Sinndefizite bieten neokratische Verfahren neuartige Lösungswege an.



Das neokratische Institutionenkonzept lässt sich hier nicht in wenigen Sätzen zusammenfassen, aber einige seiner besonders markanten Merkmale seien genannt:

- Politiker, Parteien und Parlamente sind auf einzelne Politikbereiche spezialisiert. Für einzelne Politikbereiche werden eigene Staatssparten eingerichtet.

- Gleiches gilt für Wähler. Auch sie können und sollen sich auf einzelne Politikbereiche spezialisieren.

- Parteien und Politiker sollen sich zudem auf eine oder zwei Politikebenen beschränken: auf Bundespolitik, Kommunalpolitik oder Kommunal- und Landespolitik.

- Die Entwicklung und Gestaltung der politischen Ordnung obliegt einer eigenständigen Staatssparte (Fachparlament).

- Wahlverfahren und Dauer der Legislatur- und Amtsperioden werden den Erfordernisse der Politikbereiche angepasst (z.B. lange Legislaturperioden für langfristige Aufgabenbereiche wie Klimapolitik).

- In jedem Politikbereich wird Bürgernähe durch ein Laienparlament (zweite Kammer) gewährleistet. Die Mitglieder des Laienparlaments werden in einem mehrstufigen kombinierten Los- und Wahlverfahren bestimmt.

- Die Bürger können über Staatsgrenzen und Zugehörigkeiten zu inter- und supranationalen Organisationen möglichst frei und direkt entscheiden (Prinzip der politischen Assoziationsfreiheit. S. hierzu auch das Glossar auf neopolis.info).

- Auch die Verfassung – und damit die Staatsordnung – muss in regelmäßigen Abstanden erneut demokratisch legitimiert werden.


Zur Orientierung im Reformforum

Geschichte und Grundlagen des Neokratiekonzepts wurden erstmals zusammenfassend dargestellt in der Buchpublikation Von der Demokratie zur Neokratie. Evolution des Staates, ( R)Evolution des Denkens, merus Verlag, Hamburg 2006.
Auf dieser Website verfügbar unter:

Kurze Einführungstexte werden nach und nach auch auf der Nachbarwebsite neopolis.info bereitgestellt.

Nachfolgend eine Liste von Artikeln, Essays und Büchern, die als Einführungstexte mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten dienen können:

Zur Neokratie allgemein

Zu einzelnen Themenbereichen

Theoretische Grundlagen werden auch in folgenden Texten entwickelt:

In das für das Neokratiekonzept essentielle Konzept der politischen Assoziationsfreiheit (zu diesem Begriff s. auch das Glossar auf neopolis.info) führt umfassend das Buch Freedom, Peace, and Secession. New Dimensions of Democracy ein.

S. hierzu auch: